Jens Lehmann und die Offenbarung bei Sky

Die Kritik am Ex-Nationaltorwart ist teils ungerechtfertigt. Wer eine ehrliche Debatte über Homosexualität im Fußball will, muss es aushalten, wenn jemand über ablehnende Gefühle spricht. Der Skandal ist aber, wie Lehmann sein eigenes Klischeedenken zum Problem der Schwulen macht – und der DFB guckt zu.

Jens Lehmann hat im Laufe dieser Woche viel einstecken müssen, weil er im Gespräch über Homosexualität im Fußball allzu tief in der Kiste mit den Klischees gewühlt hat. Unser ehemaliger Nationaltorwart walzt das unvermeidliche Duschen aus, lässt sich darüber aus, dass man es dem Hitzlsperger ja gar nicht angesehen hat, undsoweiter undsofort. Das Gespräch im Original auf YouTube ist sehr empfehlenswert, denn beim Betrachten nimmt das Fremd-Schämen von Minute zu Minute zu – in den Zusammenfassungen kann das kaum angemessen wiedergegeben werden. Es ist ein gutes Zeichen, dass Lehmann so viel Gegenwind entgegenbläst. Herausgestochen ist aber die Augsburger Allgemeine, die Lehmann verteidigt:

Woher soll er denn wissen, was er gefühlt hätte? Was bitte ist daran verwerflich, sich möglicherweise seltsam zu fühlen, wenn man mit einem Schwulen zusammenduscht? … Auch da kommen sie wieder, die Aufgeklärten. Schütteln verzweifelt lächelnd ihren Kopf. Wie kann er nur, der Lehmann? Warum sollte denn ein Schwuler anders spielen als ein Heterosexueller? Also so was aber auch. Dabei gibt Lehmann einfach wieder, was zumindest einige denken.

In ähnlicher Richtung haben auch manche Nutzer in die Kommentarspalten der Nachrichtenportale geschrieben. Zum Teil ist da auch etwas Wahres dran: Wer eine ehrliche Debatte über Homosexualität im Fußball führen will, der muss sowas aushalten. Lehmann ist gefragt worden und hat eine ehrliche Antwort gegeben. Da kann man sogar schon etwas Gutes daran finden, dass er ohne Schönfärberei einen Einblick in die Psyche von Fußballern offenbart.

Kritik zu Recht, aber aus dem falschen Grund

Aber nun sollte man nicht meinen, dass Jens Lehmann zu unrecht kritisiert wird. So blöde das klingt: Lehmann kriegt es schon zu Recht ab, bloß aus dem falschen Grund. Er thematisiert ja selbst, dass er in Klischees denkt. Die Armseligkeit seiner Äußerungen liegt nicht darin, das auszusprechen. Es wäre völlig in Ordnung zu sagen: fühlt sich komisch an, ist aber Unsinn, wenn ich drüber nachdenke, da muss ich mit fertig werden. Die Armseligkeit liegt in Lehmanns Schlussfolgerung: Sie macht sein eigenes Schubladendenken zum Problem der Homosexuellen. Weil er seine Gedanken nicht kontrollieren kann, sollten schwule Fußballer sich lieber weiter verstecken. Das ist das Skandalöse.

Und damit kommen wir direkt zur zweiten Offenbarung dieses Wortwechsels: Die wenigen Minuten auf Sky zeigen schonungslos die Mutlosigkeit des Deutschen Fußballbundes. DFB-Präsident Niersbach sitzt daneben und hätte hier mit Anlauf zwischengrätschen können.

„Es ist nachvollziehbar, dass sich das erstmal merkwürdig anfühlt, aber daran werden wir uns sicher schnell gewöhnen. Dafür werden der Deutsche Fußballbund und ich als Präsident kämpfen. Und wir werden mit aller Macht die Spieler verteidigen, die sich nicht mehr verstecken wollen.“

Nein, das Zitat ist der Fantasie entsprungen. Das waren leider nicht Niersbachs Worte. Es blieb bei dem politisch angemessen entrüstetem Statement:

„Das überrascht mich ein Stück, wie Du das jetzt darstellst. Ich denke, da wären wir weiter, dass da genauso wenig wie über Hautfarbe, Religion oder sonstwas gesprochen wird. Es ist für mich, in meinem Freundeskreis totale Normalität.“

Was übrig blieb war Ratlosigkeit, warum es denn auf dem Fußballplatz so viel anders ist als im Freundeskreis. Vielleicht doch das Duschen? Es ist typisch für einen Verband, der über das Broschüren verteilen hinaus seine eigene Rolle bis heute nicht recht gefunden hat. Einen Verband, in dem Funktionäre einerseits den homosexuellen Fußballern ihre Solidarität versichern und im selben Atemzug indirekt vom Coming Out abraten. Um es mal in der Fußballer-Sprache zu sagen: Der DFB fremdelt mit seiner Position und findet irgendwie nicht ins Spiel. Ob sich unter solchen Umständen der Hitzlsperger dafür einwechseln lässt?

 

Hitzlsperger und der Mantel der Geschichte

Ein paar Gedanken über die historische Dimension von Thomas Hitzlspergers Coming Out. Wer meint, es komme zu spät und sei nicht mutig, sollte diesen Text lesen.

Es war Freitagabend, es war eine Party, es war Smalltalk. Ich stand auf dieser Party mit schwulen Sportlern zusammen, und wir hatten am Ende dieser Woche nur ein Thema: Jeder von uns hat erzählt, was er gerade gemacht hat, als er von Thomas Hitzlspergers Coming Out erfahren hat. So, wie wir es sonst von Erzählungen über den 11. September und den Mauerfall kennen. Das sagt eigentlich schon alles. Schwulen Fußballern hat so lange eine Identifikationsfigur gefehlt. Wie viele Teenager haben nach ihrem Coming Out ihr liebstes Hobby entnervt oder verängstigt aufgegeben, weil sie glaubten, für sie sei kein Platz im Fußball?

Der Erhängte und der Erstochene als Präzedenzfälle

Für die Diskussion über Schwule im Fußball ist Hitzsperger ein Glücksfall und man kann ihm nicht genug danken. Versetzen wir uns mal in seine Lage: Was mag in ihm vorgegangen sein, bevor er seine Entscheidung gefällt hat? Vielleicht hat er an die anderen Schwulen im Fußball gedacht? An den US-Nationalspieler Robby Rogers? Mit seinen zehn Einsätzen in der englischen zweiten und dritten Liga war er, der sich bei seinem Coming Out schon parallel eine Existenz als Mitbesitzer eines Modeunternehmens aufgebaut hatte, vielleicht nicht der Maßstab. Aus europäischen Spitzenligen blieben als Präzedenzfälle Justin Fashanu und Heinz Bonn. Der, der sich erhängt hat. Und der, der an Alkoholismus litt und vom Stricher erstochen wurde. Darüber sollten diejenigen mal nachdenken, die sagen, Hitzlspergers Coming Out komme zu spät und sei nicht mutig.

Wie lange hätten wir auf den nächsten wie ihn warten müssen?

Hitzlsperger hat sich davon nicht abschrecken lassen. Er ist ein kluger Mensch und wird seine eigene Rolle genau reflektiert haben: Er blickt auf eine außergewöhnliche Karriere zurück und ist wie kaum ein anderer geeignet, das Klischee vom verweichlichten Schwulen, der im Fußball nichts zu suchen hat, zu widerlegen. Einer mit mehr als 50 Länderspielen, ein Deutscher Meister, einer der für seinen Gewaltschuss den Spitznamen „The Hammer“ bekommen hat. Im Vorspann habe ich von der „historischen Dimension“ geschrieben. Das ist nicht nur meinem Hang zum Pathos geschuldet: Wenn Hitzlsperger sich nicht zum Coming Out entschlossen hätte, wie lange hätte es gedauert, bis ein anderer schwuler Fußballer mit einer vergleichbaren Karriere vor derselben Entscheidung geständen hätte? Fünf Jahre? Zehn Jahre? Es gibt Situationen, da eröffnet sich die Möglichkeit, mit seinem eigenen Handeln Geschichte zu schreiben. Diese Vorstellung kann Angst machen. Es ist nicht selbstverständlich, dann auch zuzupacken. Hitzlsperger hat den Mantel der Geschichte ergriffen. Wie der Grenzer an der Bornholmer Straße, der den Schlagbaum geöffnet hat. Und das meine ich völlig ernst.

Links:

  • Hamburger Abendblatt: Interview der Zukunft: „Dieses Tor widme ich meinem Freund“ – Alexander von Beyme vom schwul-lesbischen Sportverein „Startschuss“ in Hamburg über die Idealvorstellung über Fußball und Homosexualität. Thomas Hitzlsperger wurde in Wolfsburg davon abgeraten, sich zu outen.
  • Lokalfernsehen Hamburg 1: Hitzlsperger ist ein Glücksfall – Zu Gast im Studio ist der Sprecher des schwul-lesbischen Sportvereins „Startschuss“.