Elektroschocks bei Maischberger

Hartmut Steeb von der Deutschen Evangelischen Allianz empört sich über Unterrichtsmaterialien der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Darin werden Schüler gefragt, ob sie eine Elektroschocktherapie gegen Heterosexualität machen wollen. Was hat es damit auf sich?

Es war nicht der einzige skurile Moment bei „Menschen bei Maischberger“, als die Moderatorin plötzlich einen Styropor-Penis aus einem Aufklärungskoffer holte – für Stirnrunzeln sorgten auch Zitate aus einem Papier der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, mit denen der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Steeb, gegen eine Überbetonung des Themas Homosexualität im Unterricht wetterte. Dass Schüler gefragt werden sollten, ob sie sich zur Änderung ihrer heterosexuellen Orientierung eine Elektroschocktherapie vorstellen können, kam selbst dem schwulen Bundestagsabgeordneten Spahn so merkwürdig vor, dass dieser zwischenrief, man könne das doch nicht ernst nehmen.

Doch. Man kann das ernst nehmen, wenn man die Frage bloß nicht so aus dem Zusammenhang reißt, wie Steeb das tut. Sie stammt vom Psychotherapeuten Martin Rochlin. Martin Rochlin war nicht nur Psychotherapeut, sondern als Aktivist auch maßgeblich an der Kampagne beteiligt, die dazu geführt hat, Homosexualität von der Liste der psychischen Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung zu streichen. Besagte Frage mit den Elektroschocks steht in einer Reihe mit Fragen dieser Art:

„Wann und warum hast du dich entschlossen, heterosexuell zu sein?“
„Obwohl die Gesellschaft die Ehe so stark unterstützt, steigt die Scheidungsrate immer mehr. Warum gibt es so wenige langjährige, stabile Beziehungen unter Heterosexuellen?“
„In Anbetracht der Übervölkerung stellt sich folgende  Frage: Wie könnte die Menschheit überleben, wenn alle heterosexuell wären?“

Kurzum: Hier werden die typischen Fragen, die sonst Schwulen und Lesben gestellt werden, in geballter Form einmal umgedreht. Es geht um einen Perspektivwechsel: Für einen Moment lässt sich dadurch vielleicht nachempfinden, wie Homosexuelle sich fühlen, wenn sie sich für ihre Orientierung rechtfertigen müssen. So diskriminierend kann es sein, wenn die gesellschaftliche Norm eine andere ist! Und in diesem Kontext ließe sich zum Beispiel auch im Unterricht thematisieren, dass es Zeiten gab, in denen man tatsächlich Homosexuelle mit Elektroschocks therapieren wolle.

Anders als Steeb behauptet, empfiehlt die GEW diesen Stoff nicht „für Siebtklässler“. Der Fragebogen ist aufgeführt in Unterrichtsbeispielen „ab der 7. Klasse“ und wird von der Gewerkschaft erst für die letzte von vier Phasen empfohlen. Wer das ganze im Original nachlesen möchte, kann das hier tun (Fragebogen Seite 20). Ob Steeb den Kontext möglicherweise bewusst weglässt, weil sich damit besser Stimmung machen lässt, kann sich ja jeder selbst beantworten.

Außerdem empfohlen:
„Der Unterschied zwischen Schwulen-Gegnern und Schwulen-Gegner-Gegnern“
von Stefan Niggemeier.