Unschwules WLAN macht mich traurig [UPDATE: Internet jetzt schwulisiert]

UPDATE: Der eigentliche Aufhänger dieses Artikels hat sich erledigt.

Wie ich mich selbst ertappt habe, aus einer Kleinigkeit ein Drama zu machen. Aber es nervt: In banalen Alltagssituationen kriegen Lesben und Schwule immer wieder ihre Andersartigkeit vorgehalten – weil sie nicht vorgesehen sind, nicht mitgedacht oder gar bewusst ausgesperrt werden. So etwas erlebt auch, wer seine Sexualität nicht vor sich herträgt.

Hamburger MeileIch war im Einkaufszentrum „Hamburger Meile“. Der WLAN-Hotspot hat mich nicht queer.de lesen lassen, sondern so eine Sperrseite angezeigt. Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. queer.de, das ist ein Nachrichtenportal mit Infos aus dem schwul-lesbischen Bereich. Ich hätte mich ja einfach aus dem Hotspot ausloggen und die Seite mobil aufrufen können. Oder ich lese es eben zuhause.

Aber das hat mich richtig traurig gemacht, und das möchte ich all denjenigen erklären, die meinen, dass diese Homos bei jeder Kleinigkeit „Diskriminierung“ plärren. Ich bin damals nicht alleine in die Hamburger Meile gegangen, sondern mit meinem Mann. Er ist immer etwas vorsichtiger als ich, wenn es darum geht, Hand in Hand zu laufen. Es ist ein ständiges Umgucken, ob jemand in der Nähe etwas gegen Schwule haben könnte. Naja, es geht auch ohne Händchenhalten. Ich war also sowieso schon leicht gefrustet und blickte mit einer gewissen Portion Neid auf die Hetero-Paare, die ungeniert ihre Zuneigung demonstrieren dürfen, und in diesen Frust hinein platzt nun die Geschichte, dass mich das WLAN nicht über den CDU-Nachwuchspolitiker mit den merkwürdigen Ansichten lesen lässt. Offenbar weil queer.de was mit Schwulen zu tun hat, und schwul schmuddelig ist. Okay, es geht auch ohne CDU-Nachwuchspolitiker Mittagslektüre im Internet. Die Entscheidung, das alles aufzuschreiben,  fiel letztes Wochenende, als ich von einer ähnlichen Story erfahren habe: Nämlich dass die Sprachsuche von Amazon Fire TV das Wort schwul nicht darstellen will, sondern ein Sternchen für das u einsetzt. Naja, es geht auch ohne u.

Was das alles miteinander zu tun hat? Ja, das alles geht auch irgendwie anders. Dann halten eben nur die Hetero-Pärchen in der Öffentlichkeit Händchen, und dann kann man über das WLAN der Hamburger Meile eben nur ordentliche Hetero-Geschichten wie „Lilly Allens Busenblitzer“ lesen (ja, das war an dem Tag aufrufbar!) und dann muss man bei Amazon Fire TV eben mit der Sprachsuche aufpassen, damit sie sich nicht anormal verhält. Hauptsache, es kommt nichts Schwules vor!

Der Punkt ist nur: Ich bin es leid, auf diese Art meine Andersartigkeit unter die Nase gerieben zu bekommen. Ich lese hin und wieder Kommentare in Online-Portalen, dass Schwule und Lesben ihre Sexualität ja viel zu sehr vor sich her tragen. Dabei sind es doch die Administratoren von WLAN-Sperrlisten und Programmierer solcher Sprachsuchen wie bei Amazon Fire TV, die aus meiner sexuellen Orientierung ein Thema machen, nicht ich. Und das sind noch harmlose Beispiele.

Solche Harmlosigkeiten, bei denen ich nicht vorgesehen bin, nicht mitgedacht werde oder gar bewusst ausgesperrt werde – jede für sich wäre geduldig zu ertragen, aber es gibt Tage, an denen mich das in der Summe verletzt. Neulich habe ich das Wort „Minderheitenstress“ als psychologischen Fachbegriff gelernt. Es geht vielen Menschen schlechter als mir, aber ich habe eine vage Vorstellung, was damit gemeint ist.


Die Hamburger Meile habe ich in eMails am 19. und 26. August darauf aufmerksam gemacht, dass queer.de auf einer Sperrliste des Hotspots meiner Meinung nach falsch ist. Am 26. August habe ich einen sehr freundlichen Rückruf erhalten, dass die Hamburger Meile deshalb mit dem technischen Dienstleister in Kontakt ist und sich übrigens auch für die Belange von Homosexuellen u.a. mit einer Beteiligung am CSD einsetzt. Seitdem ist nichts passiert.

UPDATE 21.11.2014: Nach ergebnislosen Nachfragen bei der Hamburger Meile schickt ich schließlich eine eMail an den technischen Dienstleister. Eine Antwort bekam ich zwar nicht, aber inzwischen lässt sich queer.de problemlos auch im WLAN der Hamburger Meile aufrufen.

8 Gedanken zu „Unschwules WLAN macht mich traurig [UPDATE: Internet jetzt schwulisiert]

  1. Nico sagt:

    Da lobe ich mir Stockholm. Das Erste, was ich am Flughafen gesehen habe, noch bevor ich meinen Koffer hatte war eine Bilderausstellung mit dem Titel „Stockholm: A Proud City“. Am Hotel weht neben schwedischen auch die Regenbogenflagge. Warum wohl? Ist doch keine Pride Week. An der Rezeption bekommen wir zur Antwort: „Ja, im August war hier Pride. Da hingen die überall als Zeichen, dass wir alle akzeptieren. Naja, und wir akzeptieren ja immer noch alle.“

  2. Mira Sun sagt:

    Hi,

    ich schreibe dir als Hetero-Frau, die alles was du geschildert hast genauso unfair findet. Ob homo oder hetero… es ist doch egal. Liebe ist Liebe.
    Ich muss gestehen, manchmal gucke ich gleichgeschlechtlichen Paaren mehr hinterher. Das betroffene Paar mag es als Starren auffassen, aber eigentlich bewundere ich euren Mut und wenn das Paar zufrieden aussieht, dann freue ich mich auch, einfach weil Glück und Liebe doch etwas zum freuen ist.

    Es ist unfair, dass man der homosexuellen Community einen Stempel verpasst. Als Mensch ist man sehr gut im tabuisieren, aber es ist falsch. Es ist ganz einfach falsch und ich finde gut, dass jemand nicht schweigt und auch zum Nachdenken anregt.

    Am Wochenende habe ich mich tierisch aufgeregt über diesen dämlichen Etikausschuss, der das Verbot von Inzest als Einschnitt in die persönliche sexuelle Selbstbestimmung sieht.
    Bitte? Inzest ist okay, eine Ehe unter gleichgeschlechtlichen Partnern nicht? Klar, das sind zwei verschiedene Stellen. Einmal Regierung auf der anderen Seite Ethikausschuss. Aber das passt für mich trotzdem nicht zusammen.
    In letzter Zeit falle ich sehr oft darüber und immer macht es mich traurig… weil es einfach so nicht sein sollte.

  3. Pluesch sagt:

    Eine ähnliche (unerfreuliche) Beobachtung habe ich in der Berufsschule gemacht.

    Dort wird eine Software der IServ GmbH eingesetzt (Benutzerverwaltung, Datenablage, Mailkonten etc.), die mittels Blacklist ebenfalls den Zugriff auf queer.de verweigert. Als Hinweis wird die Kategorie „Erotik“ genannt.

    Ich werde mal eine Anfrage an die Firma senden und dann berichten, ob eine Stellungnahme zurück kommt.

  4. Alexander v. Beyme sagt:

    Vielen Dank, Mira, für Deinen Zuspruch und die Unterstützung!

    Pluesch, super, bin gespannt auf die Antwort! Die Hamburger Meile habe ich übrigens auch nochmal mit Link auf diesen Artikel angemailt, aber vielleicht sollte ich mich auch direkt an den technischen Dienstleister wenden.

  5. Pluesch sagt:

    Hallo […],

    > Inwiefern werden Inhalte vom System automatisch (d. h. per Semantik) gesperrt?
    > Liegt die Zuständigkeit der Pflege von Blacklists bei der IServ GmbH oder bei der entsprechenden Bildungseinrichtung, auf deren Server IServ betrieben wird?

    Weder noch, die Blacklist wird von verschiedenen Gruppen gepflegt, in erster Linie von der Université Toulouse. Das ist ähnlich einem Open Source Projekt.
    Sie können aber mit der Whitelist fehlerhafte Einträge ausnehmen, das ist Sache der Schule. Einfach eine Zeile „queer.de“ hinzufügen.

    Mit freundlichen Grüßen,
    […]

    IServ GmbH
    Bültenweg 73
    38106 Braunschweig
    […]

  6. Tomtom sagt:

    Hey,

    das mit Amazon lässt sich (glaube ich) dadurch erklären, dass es sich bei Amazon um einen US-Konzern handelt. Auf US-Seiten gibt es oftmals von Rechtes wegen sogenannte „Schimpfwortfilter“, die aus Jugendschutzgründen eingeführt wurden. Dass „Gay“ bzw. „schwul“ dabei ist, ist zwar eine Frechheit, aber ich glaube, dass bei der Lokalisierung der Website ins Deutsche schlicht und ergreifend der Filter mitkopiert wurde.

    Gerade Amazon ist mit Serien wie Transparent meiner Ansicht nach an vorderster Front beim Kampf um gegenseitige Akzeptanz. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass sie irgendwelche diskriminierenden Absichten gegen LGBTQ-Personen verfolgen.

    http://en.wikipedia.org/wiki/Transparent_%28TV_series%29

  7. Franz Bennet sagt:

    Sehr geehrter Herr von Beyme,

    ich bin auf Ihre Webseite über die Zusammenstellung der Karlsruhe Urteile über den Ehebegriff gekommen. Sehr interessant zu sehen, dass und wie Rechtsprechung gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift, interpretiert und prognostiziert. Nein, ich glaube auch, dass der Ehebegriff nicht in Stein gemeisselt ist. Aber deswegen melde ich mich nicht auf Ihrem Blog. Es geht mir um Ihre Trauer angesichts eines für queer.de nicht offenen WLANs. Ich habe die Seite einfach mal aufgerufen. Eine Mischung durchaus seriöser Artikel gemischt mit Werbung unter anderem für Sex-Toys oder Premium Poppers-Bigger Bang . Ich finde daher die Zensurierung dieser Seite für ein öffentliches Netz nicht unbedingt Anlass zur Traurigkeit. Dass über derartige Netze ein Busenblitzer einzusehen ist , dürfte man dann unter dem Thema Sexismus debattiieren und da hätten sie dann wahrhaftig ein weites Feld zu beackern, dem gegenüber die wenigen Hektar der Gleichstellung von Schwulen und Lesben marginal sind. Aber sie haben es ja selber angedeutet. Vielleicht war nicht so sehr die Zensur von queer.de, sondern mehr die Weigerung Ihres Mannes zum gemeinsamen Händchenhalten der Grund Ihrer Trauer. Das Problem, dass in einer Partnerschaft der eine etwas möchte und der andere nicht ist universell.

    Gruss F. Bennet

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