Einige Jahrzehnte Lebenserfahrung als schwuler Mann haben mich gelehrt, Gefahren richtig einzuschätzen. Doch was mir in letzter Zeit wirklich Sorgen bereitet, ist nicht das, was die meisten vermuten würden. Es ist etwas Subtileres – und möglicherweise Gefährlicheres.
Ich bin jetzt 49 Jahre alt und war lange Aktivist. 2015 habe ich mit meinem Team die schwul-lesbische Fußball-EM in Hamburg ausgerichtet. Sichtbarkeit finde ich wichtig. Ich nehme gerne meinen Mann an die Hand. Tagtäglich drängen mir andere auf dieselbe Weise ihre Heterosexualität auf – darum nehme ich mir diese Freiheit auch heraus.
Was ich mir im Alltag seit meinem Coming Out in den 90ern angewöhnt habe: aufmerksam bleiben und immer eine Exit-Strategie haben. Ein Beispiel: Betrunkene Gruppen in der Bahn? Einmal kurz checken, wo die Notbremse ist und wen ich um Hilfe bitten kann. Eine Kollegin wies mich mal darauf hin, dass das ungefähr dieselbe Alltagserfahrung ist wie die aller Frauen.
Ich lese all diese Berichte über Übergriffe und finde das schlimm. Aber mein persönliches Sicherheitsempfinden ändert sich davon nicht – jedenfalls nicht allein deshalb.
Viel bedenklicher finde ich, wie die Solidarität in der Mitte der Gesellschaft schwindet. Weiterlesen