Blick von einem Truck auf die Menschenmasse in der Mönckebergstraße in Hamburg beim CSD 2022

Was mir mehr Angst macht als Gewalt

Einige Jahrzehnte Lebenserfahrung als schwuler Mann haben mich gelehrt, Gefahren richtig einzuschätzen. Doch was mir in letzter Zeit wirklich Sorgen bereitet, ist nicht das, was die meisten vermuten würden. Es ist etwas Subtileres – und möglicherweise Gefährlicheres.

Ich bin jetzt 49 Jahre alt und war lange Aktivist. 2015 habe ich mit meinem Team die schwul-lesbische Fußball-EM in Hamburg ausgerichtet. Sichtbarkeit finde ich wichtig. Ich nehme gerne meinen Mann an die Hand. Tagtäglich drängen mir andere auf dieselbe Weise ihre Heterosexualität auf – darum nehme ich mir diese Freiheit auch heraus.

Was ich mir im Alltag seit meinem Coming Out in den 90ern angewöhnt habe: aufmerksam bleiben und immer eine Exit-Strategie haben. Ein Beispiel: Betrunkene Gruppen in der Bahn? Einmal kurz checken, wo die Notbremse ist und wen ich um Hilfe bitten kann. Eine Kollegin wies mich mal darauf hin, dass das ungefähr dieselbe Alltagserfahrung ist wie die aller Frauen.

Ich lese all diese Berichte über Übergriffe und finde das schlimm. Aber mein persönliches Sicherheitsempfinden ändert sich davon nicht – jedenfalls nicht allein deshalb.

Viel bedenklicher finde ich, wie die Solidarität in der Mitte der Gesellschaft schwindet. Weiterlesen

Hitzlsperger und die Gay Power beim VfB

Hitzlsperger wird ein zweites Mal zum wichtigen Rollenmodell. Er ist der Beweis: Ein Coming Out ist kein Hindernis für eine Spitzenposition im Fußballgeschäft.

In großer Sachlichkeit berichteten die Medien gestern, dass der VfB Stuttgart Thomas Hitzlsperger zum neuen Sportvorstand gemacht hat. Seine sexuelle Orientierung wird nicht erwähnt, warum auch? Für die Entscheidung spielte sie keine Rolle. Aber man muss sich nichts vormachen. Der Fußball insgesamt ist noch nicht so weit, wie manche denken. Kleine Kostprobe gefällig? Hier ein paar Kommentare von der Facebook-Seite des ehrwürdigen Kicker-Magazins:

Achtung sobald der hitzelperger in die Kabine kommt arsch Richtung Wand haha
na wer wohl als erstes die Seife fallen lässt in der Kabine? 😂
Hoffen wir mal die Spieler müssen sich nicht Hochschlafen 😅

Zur Ehrenrettung des Kickers muss man sagen, dass die Redaktion vieles auch moderiert und gelöscht hat und die betreffenden User teils vorher schon Widerspruch von anderen Kommentierenden geerntet haben. Es zeigt aber, Homophobie bleibt eben doch ein Thema.

Was gab es für Erwartungen, als Thomas Hitzlsperger im Januar 2014 sein Coming Out in der ZEIT hatte. Weiterlesen

Hat Kevin Kühnert wirklich „Penis“ gesagt?

Kevin Kühnert spricht im Interview des queeren Berliner Stadtmagazins SIEGESSÄULE über sein Schwulsein – und im Netz wird wieder diskutiert, ob man das „an die große Glocke“ hängen muss. Diese Diskussion gibt es bei jedem Coming Out in den Medien. Aber nie war sie so unsinnig und verlogen wie diesmal.

Drei kurze Beispiele aus der Kommentarspalte der FAZ auf Facebook: „Ich möchte nicht damit behelligt werden, wer mit wem ins Bett geht.“ – „Herr Kühnert scheint recht gut zu wissen, womit man mediale Aufmerksamkeit erhalten kann.“ – „Ich will nichts über die sexuellen Vorlieben eines Jungsozen wissen.“ Eine Frau hat auch noch geschrieben, sie habe ja nichts gegen das Coming Out an sich, aber man müsse das doch nicht so an die große Glocke hängen. Was hat der Kühnert denn da bloß gesagt?  Weiterlesen

Worüber Heterosexuelle kaum nachdenken müssen

Das Coming Out am Arbeitsplatz war für mich keine Selbstverständlichkeit. Dabei lebe ich in einer weltoffenen Großstadt und habe gebildete Kollegen. Was ist denn eigentlich das Problem? Ein bisschen Seelenstriptease zum Diversity Tag am 30. Mai.

Es war im Herbst 2015, eine gesellige Runde am Rande der Verabschiedung eines Kollegen. Es ging ums Heiraten und Kinderkriegen. Und dann stellte mir die Chefin vom Dienst aus der Frühschicht diese eine Frage: „Alex, was ist eigentlich mit dir? Du trägst doch auch einen Ring. Bist Du verheiratet?“ Über meine Antwort wollte ich einen Moment nachdenken. Ich war gerade erst bei ARD-aktuell angekommen. Nur ein paar Monate Elternzeitvertretung, aber egal: die Eintrittskarte für die heiligen Hallen der Tagesschau. Mehr Zuschauer und mehr Glaubwürdigkeit geht nicht im Nachrichtenjournalismus. Da wollte ich bleiben. Das alles ging mir in Sekundenschnelle durch den Kopf. Und alles nur wegen dieser einfachen Frage: „Bist du verheiratet?“ Weiterlesen

Unschwules WLAN macht mich traurig [UPDATE: Internet jetzt schwulisiert]

UPDATE: Der eigentliche Aufhänger dieses Artikels hat sich erledigt.

Wie ich mich selbst ertappt habe, aus einer Kleinigkeit ein Drama zu machen. Aber es nervt: In banalen Alltagssituationen kriegen Lesben und Schwule immer wieder ihre Andersartigkeit vorgehalten – weil sie nicht vorgesehen sind, nicht mitgedacht oder gar bewusst ausgesperrt werden. So etwas erlebt auch, wer seine Sexualität nicht vor sich herträgt.

Hamburger MeileIch war im Einkaufszentrum „Hamburger Meile“. Der WLAN-Hotspot hat mich nicht queer.de lesen lassen, sondern so eine Sperrseite angezeigt. Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. queer.de, das ist ein Nachrichtenportal mit Infos aus dem schwul-lesbischen Bereich. Ich hätte mich ja einfach aus dem Hotspot ausloggen und die Seite mobil aufrufen können. Oder ich lese es eben zuhause.

Aber das hat mich richtig traurig gemacht, und das möchte ich all denjenigen erklären, die meinen, dass diese Homos bei jeder Kleinigkeit „Diskriminierung“ plärren. Weiterlesen

Regenbogenflaggen? Ruft die Polizei!

Die eigentliche Nachricht der Posse um die Regenbogenflaggen in Berlin: Sie verrät, wieviel Aufwand und Energie die Union in Homophobie steckt und dass die SPD jeden Widerstand aufgegeben hat.

Erstmals hissen Berliner Bundesministerien zur CSD-Saison die Regenbogenflagge – und müssen sie auf Druck des Kanzleramts wieder einholen. Zugegeben: Mich persönlich hat es nie großartig gekümmert, ob irgendwo eine Regenbogenflagge gehisst wird. Ich habe das regelmäßig als schönes Zeichen der Solidarität wahrgenommen, aber andere Aktionen sind mir wichtiger. Trotzdem kann ich diesen „Vorfall“ in Berlin nicht einfach zur Kenntnis nehmen, ganz im Gegenteil: Gerade die Vehemenz, mit der das Kanzleramt gegen diese klitzekleine Symbol angeht, macht für mich einen großen Aufreger daraus. Weiterlesen