Das Coming Out am Arbeitsplatz war für mich keine Selbstverständlichkeit. Dabei lebe ich in einer weltoffenen Großstadt und habe gebildete Kollegen. Was ist denn eigentlich das Problem? Ein bisschen Seelenstriptease zum Diversity Tag am 30. Mai.
Es war im Herbst 2015, eine gesellige Runde am Rande der Verabschiedung eines Kollegen. Es ging ums Heiraten und Kinderkriegen. Und dann stellte mir die Chefin vom Dienst aus der Frühschicht diese eine Frage: „Alex, was ist eigentlich mit dir? Du trägst doch auch einen Ring. Bist Du verheiratet?“ Über meine Antwort wollte ich einen Moment nachdenken. Ich war gerade erst bei ARD-aktuell angekommen. Nur ein paar Monate Elternzeitvertretung, aber egal: die Eintrittskarte für die heiligen Hallen der Tagesschau. Mehr Zuschauer und mehr Glaubwürdigkeit geht nicht im Nachrichtenjournalismus. Da wollte ich bleiben. Das alles ging mir in Sekundenschnelle durch den Kopf. Und alles nur wegen dieser einfachen Frage: „Bist du verheiratet?“
Für Homosexuelle gibt es nicht nur dieses eine Coming-Out in der Jugend oder als junger Erwachsener oder wann auch immer. Viele haben Diskriminierungserfahrungen hinter sich oder erleben sie noch heute: teils offene Gewalt, teils Pöbeleien auf der Straße (wie am Anfang dieses Artikels beschrieben), teils Benachteiligungen im Beruf. Diese Abwägung, wie und wem man sich offenbart und ob dadurch Nachteile drohen könnten, findet darum jedes Mal aufs Neue statt – ein Leben lang, abhängig von der Situation. Mir geht es doch gut bei der Tagesschau, dachte ich mir, ich habe reflektierte Kollegen, da kann Schwulsein doch eigentlich nicht schlimm sein. „Ja, ich bin verpartnert, und mein Mann arbeitet bei IBM.“ Das war meine Antwort, die gefühlt zwei Sekunden zu spät kam. Alles war gut, und wir haben uns noch sehr nett weiter unterhalten.
Reaktionen auf ein Coming Out sind schwer berechenbar
Was ist denn überhaupt das Problem dabei, dürften sich viele fragen. Ist das gesellschaftliche Klima nicht heutzutage viel offener als früher? Das stimmt, aber immer noch gibt es hochgebildete Leute, die homophobe Sprüche raushauen. Auch für die Bevölkerung in den angeblich so weltoffenen Großstädten gilt: Ein paar Idioten gibt es immer. Die Reaktionen sind also schwer berechenbar, und wegen dieses unkalkulierbaren Risikos entscheiden sich manche Homosexuelle dafür, gar nicht erst zu viel von sich preiszugeben. Wie souverän jemand mit seiner Orientierung umgeht, hängt auch von der persönlichen Biografie ab, von schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit.
Ich war in jungen Jahren vorsichtiger. Bei einer meiner Stationen im Berliner Privatradio hörte ich zum Beispiel erst einmal aufmerksam zu, wie Kollegen über das Coming Out eines Popstars sprachen (ich glaube, es war der Boyzone-Sänger Stephen Gately). Das war ganz positiv. Aber es war mir sehr wichtig, solche Signale überhaupt zu empfangen. Erst als ich wusste, dass keiner mit meiner Orientierung ein Problem hat, redete ich frei in der Teeküche mit: wer mich im Urlaub begleitet hat und mit wem ich den neuen Hollywood-Blockbuster im Kino gesehen habe. Ob man „out“ ist oder nicht, hat Einfluss auf ganz banale Alltagsgespräche, über die Heterosexuelle kaum nachdenken müssen.
„Ach, Wowi, die Schwulette“
Positive Signale wie damals von meinem Kollegen in Berlin sind keine Selbstverständlichkeit. Ich erinnere mich an eine Situation in einem NDR-Großraumbüro, als wir auf die Ergebnisse einer BER-Aufsichtsratssitzung warteten. Endlich lief ein Statement von Klaus Wowereit über die Agenturen. Einer der Kollegen reagierte laut mit den Worten: „Ach, Wowi, die Schwulette.“ Ich nahm das persönlich. Das mag übertrieben erscheinen. Aber es geht darum, welche Perspektive sich hier offenbart. Wenn sich ein arrivierter Redakteur bei einem Nachrichtenthema ohne jeden Zusammenhang abfällig über die sexuelle Orientierung äußert: Welchen Blick hat er dann wohl auf mich? Sieht er meine Arbeit? Oder sieht er in mir nicht mehr als „den Schwulen“? Diese Äußerung blieb damals im Großraumbüro unkommentiert stehen. Tagelang habe ich mich geärgert, dass ich nicht den Mut hatte, Kontra zu geben. Und dass es auch andere nicht taten. Ich war damals freier Mitarbeiter. Diversity Management ist eine Aufgabe, die Führungskräfte und Vorgesetzte vorleben und mitgestalten müssen.
Verstecken kostet Kraft und Produktivität
Es geht auch nicht nur darum, dass sich Schwule und Lesben wohlfühlen: Es ergeben sich am Arbeitsplatz naturgemäß Privatgespräche. Wenn ich ständig verheimlichen und verschweigen würde, mir merken müsste, wann und wie ich meinen Mann in den Erzählungen zur Frau umgedeutet habe, nur damit keiner merkt, dass ich schwul bin, dann würde das Kraft und Konzentration kosten. Es gibt Schätzungen, dass dadurch 30 % Produktivität verloren gehen. Ein homofreundliches Klima hingegen ist auch ein Benefit für die Redaktion: Sonst hätte mich nie getraut, dem tagesschau24-Moderator so gute Tipps zu geben für die Fragen seines § 175-Interviews.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Intranet des NDR als Teil einer Serie anlässlich des 5. Diversity Tags am 30. Mai 2017.
Lieber Alexander,
mit Interesse habe ich deinen Bericht über das „Coming out“ am Arbeitsplatz gelesen. Ich kann deine Erlebnisse sehr gut nachempfinden. Ich bin bald 40 und werde auch oft gefragt, wann denn bei uns endlich Nachwuchs eintrudeln wird. Schließlich trage ich auch einen Ehering an der Hand…. aber ich habe einen Mann und keine Frau an meiner Seite. 🙂
Mit freundlichen Grüßen
Frank