Gespielt wie Flasche halb voll oder halb leer?

Der Deutsche Evanglische Kirchentag in Hamburg diskutiert über Homophobie im Fußball: Kontrovers wurde die Debatte, wie die bisher erreichten Fortschritte zu bewerten sind. Ein Mutmach-Beitrag.

Die Zusammensetzung der Runde unter dem Motto „Let’s Talk About Sex – Homophobie im Fußball“ ließ von vornherein nicht erwarten, dass es besonders heiß her gehen würde: Vertreter der „Queer Football Fanclubs“ berichteten von ihrem Engagement in den Fankurven, „Versteckspieler“ Marcus Urban erzählte von seiner Arbeit als Diversity Coach und DFB-Berater, der SPD-Bundestagsabgeordnete und Fachsprecher für Schwule und Lesben, Johannes Das Podium im Regenbogenzentrum beim DEKTKahrs, war als Politikvertreter dabei, und ich war als Journalist und Vorstandsmitglied des schwul-lesbischen Sportvereins Startschuss SLSV Hamburg eingeladen – alles also Leute, die sich im Ziel einig sind und sich schon lange entsprechend engagieren.

Überraschend fiel die Bewertung des Status Quo aus: Als ich meinen Eindruck schilderte, dass Diskriminierung deutlich abgenommen hat und heutzutage viele Startschuss-Sportler ihr Glück auch in „Hetero“-Vereinen finden, stieß ich auf harschen Widerspruch. „Falsch“, entgegnete kopfschüttelnd Marcus Urban, „es gibt in allen Bereichen immer noch massive Probleme.“ Ein Gast aus dem Publikum richtete an meine Adresse die Kritik, dass Journalisten ein viel zu rosiges Bild zeichneten, unter anderem weil viele Betroffene sich mit ihrer Leidensgeschichte gar nicht an die Öffentlichkeit trauten.

Homophobie ist kein Nischen-Thema mehr

Dabei habe ich gar nicht behauptet,  dass Homophobie überwunden ist – ich bin nur der Meinung, dass im historischen Vergleich die Gesellschaft riesige Schritte weitergekommen ist. Der Umgang mit Homophobie ist sensibler geworden: Gerade erst hat Kaiserslauterns Stürmer Idrissou im Interview (hier das Video) einmal mehr das Klischee bedient, Schwule seien automatisch tuntig und könnten per se keine männliche Körpersprache haben – das haben auch Mainstream-Medien aufgegriffen und kritisiert. Früher gingen solche Äußerungen unter. Schwulen und Lesben empörten sich in ihren Community-Foren, auf Nischen-Websites und blieben unter sich. Schon dass es mittlerweile eine Öffentlichkeit dafür gibt, ist ein Fortschritt.

Die „Queer Devils“ als schwul-lesbischer Fanclub konnten dem Spieler inzwischen persönlich erklären, was an seinen Äußerungen so bedenklich ist. Noch vor ein paar Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein Verein ein solches Treffen zulässt. Und der FCK berichtet auch noch auf seiner Homepage darüber. Bei aller Kritik an manchen Formulierungen lässt sich festhalten: Auch hier beteiligt sich der Proficlub daran, eine Öffentlichkeit herzustellen, die wichtig ist. Er tut es nicht als Pflichtveranstaltung ab nach dem Motto: „Treffen wir uns mal mit den Schwulen, um die ruhig zu stellen, aber reden wir nicht darüber.“ Auch das ist ein Wandel!

Während Profi-Fußballer früher „irgendwas mit Schwul“ gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser, leben wir in einer Zeit, in der Philipp Lahm munter Interviews für Gay-Magazine gibt und Mario Gomez übers Coming Out philosophiert. Nicht über jeden Debattenbeitrag kann man glücklich sein, aber die Berührungsängste im Spitzensport schwinden – das ist ein Fortschritt.

Es gibt Strukturen und Unterstützer

Alex v. Beyme mit Johannes KahrsWir haben Strukturen aufgebaut wie die schwul-lesbischen Fanclubs und Sportvereine, die den Finger in die Wunde legen, und starke Unterstützer wie die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Auch die Verbände bewegen sich allmählich. Einige meiner Mitspieler bei den schwulen Fußballern von Startschuss spielen geoutet in „hetero-geprägten“ Vereinen mit, nach meinem Eindruck waren es noch nie so viele. Nur einer von ihnen erzählte mir von heftigem Mobbing, die Mitspieler wollten ihn nicht mehr mit ihm duschen – kurzerhand wechselte er den Verein und wurde im neuen Club anerkannter Spielertrainer. Jeder Fall von Diskriminierung ist zu viel, aber bei allen Rückschlägen können wir doch froh sein: Es gibt sie mittlerweile, die positiven Beispiele, die wir vor Jahren so vermisst haben.

Es geht natürlich nicht schnell genug. Wir liegen mit dem Kampf gegen Homophobie im Fußball immer noch zurück, aber haben bisher gut gespielt – das sollte uns Selbstvertrauen geben. Schluss ist erst, wenn der Schiri pfeift.

Promi-Klatsch: Ole von Beust und seine Jugendliebe

Was für kleine Perlen sich doch in den Indie-Produktionen verbergen! Über eine Facebook-Gruppe bin ich auf einen empfehlenswerten Kurzfilm über Homophobie gestoßen – die Dokumentation zeigt Schicksale und geht Ursachen auf den Grund. Dieser Film hat bisher keine große Aufmerksamkeit bekommen, dabei spricht Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Ole von Beust erstaunlich offen über seine erste Liebe. Jetzt kann ich in meinem Blog endlich auch die Sehnsucht nach Klatsch & Promi-Tratsch erfüllen!

„Meine erste Liebe, da war ich extrem jung, da war ich zwölf. Das war sehr pubertär, mit einem Mitschüler. Aber anvertraut habe ich mich damals niemandem, weder meinen Eltern, noch jemand anderem. Das musste ich mir erstmal selber klar machen. Das Thema war zwar kein Thema, mit dem man gemobbt würde, aber es war tabuisiert – man sprach da nicht drüber. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das in der Schule mal thematisiert worden wäre, im Rahmen vom Deutsch, Gemeinschaftskunde und Biologie oder was auch immer – dass überhaupt mal öffentlicher drüber gesprochen würde, wo ich doch die Sache erstmal selber mit mir ausmachen musste. Eine Offenheit zum Gespräch hat es nicht gegeben. Beratungsangebote wie in Hamburg das MHC sind alle viel später entstanden. Das hat es damals noch nicht gegeben. Es wäre sicherlich manches einfacher gewesen.“

Wir erinnern uns: Ole von Beust, der Bürgermeister, der jahrelang – sagen wir mal so – sehr defensiv mit seiner Orientierung umgegangen ist. Bundesweite Schlagzeilen wurden daraus, als sein Innensenator Schill ihm ein Liebesverhältnis mit dem Justizsenator Kusch andichten wollte und dafür prompt vor die Tür gesetzt wurde. Dass von Beust tatsächlich schwul ist, erklärte kurze Zeit später sein Vater in einem Zeitungsinterview. Meine Güte, während ich diese Zeilen schreibe, kommt es mir vor, wie aus einer anderen Zeit! Dabei ist das gerade mal zehn Jahre her. In der Doku spricht von Beust auch darüber, welche Entwicklung die Gesellschaft seiner Meinung nach bisher genommen hat:

Akzeptanz hieße, dass es selbstverständlich genommen wird und gar kein Thema mehr ist. […] Ich weiß, dass es schon thematisiert wird, wenn es um Spitzenämter in Politik und Wirtschaft geht. Da fragt man sich hinter vorgehaltener Hand: Kann man das eigentlich machen, kann man das nicht machen? Das führt zu ganz eigenen Bewertungskriterien. Totale Akzeptanz hieße, es interessiert wirklich keinen. Davon sind wir noch weit entfernt, aber spürbare Diskriminierung ist deutlich besser geworden

Hier der Film als Ganzes ist hier zu sehen, die Passsage mit Ole von Beust folgt bei 9’20“:

Ausblick: Merkel wird Verurteilung durch BVG begrüßen

Die Euphorie über einen Kurswechsel der Union in der Frage der Gleichstellung von Homosexuellen ist verfrüht. Zwischen den Zeilen wird klar, dass die Union ihre Hinhalte-Taktik fortsetzt. 

saegen_kleinIch war auch in freudiger Erwartung, wenn man das so nennen darf, als ich letzten Samstag den Link mit dem Titel „Union gibt Widerstand gegen Homo-Ehe auf“ geklickt habe. Aber schon noch wenigen Minuten habe ich das Fenster enttäuscht geschlossen. Umso mehr überrascht es mich, dass diese Exklusiv-Meldung der Süddeutschen Zeitung in den vergangenen Tagen von so vielen Medien aufgegriffen und im wahrsten Sinne des Wortes weitergesponnen wurde.

Die Süddeutsche hat sich ihren Scoop selbst gebaut und ein streng genommen belangloses Interview unter eine plakative Überschrift gestellt. Fürs Wochenende wollte die Zeitung offenbar unbedingt Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugunsten der sogenannten Sukzessiv-Adoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. Das kam dabei heraus:

Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Michael Grosse-Brömer, sagte der Süddeutschen Zeitung, die Union müsse „in Sachen Gleichstellung beweglicher werden“. Angesichts „der klaren Tendenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollten wir jetzt möglichst rasch handeln und die erforderliche verfassungsrechtliche Gleichstellung auch durchführen“, sagte Grosse-Brömer. „Wie wir das genau machen, prüfen wir jetzt innerhalb der Fraktion und dann in der Koalition.“

Tja, wo ist jetzt der Kurswechsel? Wer unbedingt will, der kann diesen Kurswechsel dort reininterpretieren und hat dann seine Rechtfertigung für eine knallige Schlagzeile. Aber wir sind doch  keine Noobs im Politiker-Sprech. Wenn jemand ankündigt, zu prüfen und beweglicher zu werden, da hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Ich habe auch nicht dieses kleine einschränkende Adjektiv überlesen: Wer entscheidet denn, welche verfassungsrechtliche Gleichstellung erforderlich ist? Meine Interpretation ist deshalb genau das Gegenteil dessen, was die Süddeutsche daraus gemacht hat: Die Union steht weiterhin für Gleichstellung in exakt dem  Maße, wie die Regierung vom Bundesverfassungsgericht dazu verdonnert wird.

Egal, die Deutung der Süddeutschen Zeitung ist nun in der Welt, jetzt wollen auch die anderen Medien ihre Schlagzeile und laufen wie die Lemminge hinterher. Alle möglichen verknappten Äußerungen von Unions-Politikern werden ohne kritisches Hinterfragen unter der Überschrift „Kurswechsel“ oder „neue Offenheit“ einsortiert. Finanzminister Schäuble will noch ein wenig Konsequenzen aus dem Urteil prüfen. Die stellvertretende Bundes-Vorsitzende Julia Klöckner hat beim mittlerweile fünften Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Gleichstellung immerhin eine Tendenz erkannt und kommt zur Feststellung, dass sich ja etwas ändern müsse. Aber der Meinung war sie auch schon früher. Wo ist der Kurswechsel? In der Union gilt auch weiterhin das Motto: Gebremst wird immer.

Das Good-Cop-Bad-Cop-Spiel in der Union

Als Krimi-Zuschauer kennt man ja diese Verhör-Technik nach dem Muster „Good-Cop-Bad-Cop“: Der eine Ermittler macht auf Einschüchterung, der andere zeigt sich verständnisvoll und einfühlsam. So oder so wird man den Verdächtigen schon zur Aussage bringen. So ähnlich verhält es sich mit der Union: Die Hardliner können noch schön mauern, und die vermeintlich Progressiven platzieren hier und da mal ein paar unverbindliche homo-freundliche Statements. Auf die ein oder andere Art wird man den Wähler schon zur gewünschten Entscheidung bringen. Dabei ist die vermutlich ehrlichste und realistischste Äußerung innerhalb der Union leider am Rande des Bundesparteitags im Dezember etwas untergegangen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte damals dem Fernsehsender PHOENIX in Bezug auf eine Gleichstellung im Steuerrecht: „Wenn wir vor dem Bundesverfassungsgericht verlieren, was ich vermute, dann werden wir das ordnungsgemäß umsetzen. Aber erst dann.“

Noch in diesem Jahr wollen die Karlsruher Richter über die steuerliche Gleichstellung der Lebenspartnerschaften entscheiden. Wir wissen alle, wie es ausgeht. Und was Bundeskanzlerin Merkel sagen wird, weiß ich auch schon:

Dieses ist ein sehr wichtiges Urteil, das ich sehr begrüße. Es gibt der Bundesregierung Rechtssicherheit, wie wir die Gleichstellung in verfassungsrechtlich gebotener Weise vorantreiben können. Die Bundesregierung nimmt diese Vorgaben dankbar an und wird dieses Urteil zügig zum Wohle der Betroffenen umsetzen.

(Zitat erfunden)

Warum denn ein schwules Fußballturnier?

Während die Diskussion über Schwule im Profi-Fußball immer mal wieder Schlagzeilen macht, sind homosexuelle Freizeitfußballer seit Jahrzehnten untereinander vernetzt. Wie eine große Familie treffen sie sich auf dutzenden Freundschaftsturnieren, der Sport verbindert über Grenzen hinweg. Warum eigentlich gibt es Fußball-Teams für Schwule?

„Friends Prague gewinnen Deutschlands größtes schwules Fußballturnier“ habe ich an unseren Presseverteiler herausgegeben, als ich am vergangenen Wochenende für meinen Fußball-Verein und das „StartschussMasters“ im Einsatz war. Wir hatten 16 Mannschaften am Start, aus ganz Deutschland, aber auch international besetzt: Außer den Pragern hatten sich die Stockholm Snipers und PAN Fodbold Kopenhagen auf den Weg gemacht. Wir hatten außerdem prominente Unterstützung: NDR-Fernsehmoderatorin Anke Harnack hat bei der Eröffnungspartys die „Losfee“ gemacht, und als Gastredner hat der Schauspieler Peter Lohmeyer („Das Wunder von Bern“ oder ganz aktuell im Fernsehfilm „Blutadler“) über seine Sicht auf Homophobie im Fußball gesprochen.

Lässt sich in diesen Zeilen meine Begeisterung erahnen? Schon ab und zu bin ich mit meinen euphorischen Erzählungen über die schwule Fußballtruppe auf Unverständnis gestoßen: Warum muss man denn unbedingt eine schwule Fußballgruppe gründen? Auch noch ein ganzes Turnier? Ist das nicht eine Selbstghettoisierung?

„Geile Möpse, ey!“ gibt’s auch andersrum

Ja, das ist eine Selbstghettoisierung, und dafür gibt es mehrere Gründe: Viele sind es einfach leid, sich erklären zu müssen. Ganz selbstverständlich vom Platz zu gehen und seinem Freund einen Kuss zu geben, ohne dass jemand glotzt – das ist Lebensqualität. Unverblümt erzählen zu können, wie peinlich der letzte Flirtversuch in der Gay-Bar ausgegangen ist – unbezahlbar! Es wird ja so viel davon geschrieben, dass Fußball generell etwas von einem Männerbund hat. Meistens geht es dann darum, irgendein Boller-Heten-Verhalten zu rechtfertigen  – bloß gilt das eben nicht nur im Mainstream-Fußball, sondern auch unter Schwulen gibt es so ein verbindendes Element. Plakativ gesagt: Wenn Heten-Mannschaften durch „geile Möpse, ey!“ zusammengehalten werden können, dann ist es doch nicht verwunderlich, wenn Homo-Teams durch andere Dinge zusammengehalten werden. Oder etwas intellektueller: Auch wenn ein schwuler Spieler vielleicht im Kreisklasseverein akzeptiert wird, heißt das noch nicht, dass er sich dort verstanden fühlt. Das ist ein Unterschied.

Schwule haben nicht immer Lust, Paradiesvögel zu sein

Im Amateurfußball ist es für Schwule in den vergangenen Jahren deutlich leichter geworden. Ich kenne Spieler wie Tony Quindt aus meiner schwulen Fußball-Truppe, die parallel in anderen Mannschaften kicken und dort gute Erfahrungen gemacht haben. Aber wie bei Tony zum Beispiel gut in zahlreichen Fernsehbeiträgen zu sehen ist, reagieren Mitspieler im ersten Moment „überrascht“ oder „perplex“ (O-Ton). Das ist schon okay und nachvollziehbar, aber wir Schwule haben halt auch nicht immer Lust, Paradiesvögel zu sein. Und wenn es darum geht, sich freizeitmäßig etwas sportlich zu betätigen, ziehen es viele vor, sich auf schwules Terrain zu begeben.

Das StartschussMasters als Turnier ist nun eine Möglichkeit, in der Masse aufzutreten. Hallenfußball kann ganz schönes Gebolze sein, aber wir hatten am vergangenen Wochenende viele Spiele auf hohem Niveau mit durchdachten Spielzügen. Ich helfe gerne mit, solche Turniere an die Öffentlichkeit zu bringen. Irgendwann reagiert vielleicht niemand mehr „überrascht“ oder „perplex“, dass ein guter Fußballer im Team zufällig schwul ist. Und ordentlich zugetreten haben wir auch, wie im Video zu sehen ist.

Das Missverständnis vom Coming-Out

Beseelt vom Wunsch nach dem knalligen Coming-Out eines Profi-Fußballers schreiben die Medien an der Realität vorbei. Floskeln und Scheindebatten dominieren die Berichterstattung, aber die Antworten auf die entscheidenden Fragen bleiben unausgesprochen: Was ist ein Coming-Out? Worum geht es einem schwulen Bundesliga-Kicker überhaupt? Wenn Funktionäre und Vereine darauf keine Antworten formulieren können, wird diese Diskussion versanden.

Gut zwei Wochen ist es nun her, dass der Fluter das Interview mit einem anonym gebliebenen schwulen Bundesliga-Profi veröffentlicht hat. So groß wie die Aufmerksamkeit ist, bei genauerem Hinsehen ist es enttäuschend, aus welcher Perspektive das Thema angegangen wird.

Symptomatisch der Auftritt von Fußball-Trainer Peter Neururer bei Markus Lanz (im Video ab 48’30“):

Das Problem ist die Tatsache selber, sich zu outen. Ich lauf ja auch nicht da durch und sage: ‚Ich bin hetero.‘ Wen interessiert denn meine Sexualität? Vollkommen uninteressant. Es wird aber thematisiert, wenn einer homosexuell ist.

Was als Plädoyer für Normalität nett gemeint war, offenbart auf der anderen Seite, warum sich diese Diskussion seit Jahren im Kreis dreht. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen, was mit Outen überhaupt gemeint ist. Keiner wünscht es sich, in einer Pressekonferenz auf dem Podium zu sitzen und zu bekennen: „Ich bin schwul, schwul, schwul!“ Ein ähnlicher Subtext schwingt aber mit, wenn DFB-Präsident Niersbach sagt:

Sollte sich ein Spieler, egal ob in der Bundesliga oder der Kreisliga, öffentlich als homosexuell outen wollen und dabei die Unterstützung des DFB benötigen, so wird unser Verband jegliche Hilfe anbieten.

Auch die ZEIT begreift das Fluter-Interview nicht als Alarmsignal, sondern orakelt: „Das Fußballer-Outing rückt näher“, offenbar angetörnt von der Ankündigung, dass sich der Fußballer in einem Jahr zu erkennen geben könnte. Das scheint das große Missverständnis in dieser Debatte zu sein: Wer schwul ist, will eben nicht mit großem Knall an die Öffentlichkeit – und erst recht nicht in einem Umfeld, das im Ruf steht, so intolerant zu sein wie der Profi-Fußball. Er will einfach nur sein Leben leben und dafür das Vertrauen in seiner unmittelbaren Umgebung spüren. Der schwule Fußballer will von seinem Partner vom Training abgeholt werden. Er will in der Kabine über die neusten Hollywood-Blockbuster mitreden und sagen können: „Super-Film, habe ich neulich mit meinem Freund schon gesehen.“ Und er will, dass der Verein nach dem Champions-League-Sieg einen Platz beim Bankett freihält für den Menschen, den er liebt.

Was heißt es nun, dass sich schwule Profi-Fußballer bisher so versteckt haben? Das heißt, dass sie die Atmosphäre im Verein so unberechenbar empfinden, dass sie lieber nichts von sich preisgeben. Ja, es ist erstmal ein atmosphärisches Problem in den Vereinen, und kein Problem, dass zu wenige Spitzenfunktionäre die Fans zur Raison gerufen haben. Sich zu „outen“, ist ein langsamer Prozess. Dafür muss man kein Prominenter sein. Jeder Teenager wird erstmal genau beobachten, wie seine Eltern auf Fernsehberichte zum Christopher-Street-Day reagieren, bevor er sich ihnen anvertraut. Am neuen Arbeitsplatz heißt es erstmal Ohren spitzen, wie die Kollegen über Ricky Martins spätes Bekenntnis reden. Das sind diese positiven Signale aus der direkten Umgebung, auf die jeder Schwule wartet, der Angst vor Diskriminierung hat. Im Alltag des Profi-Fußballers gibt es diese Signale offenbar nicht.

So gut es der DFB-Präsident meint: Das Hilfsangebot nützt keinem verunsicherten schwulen Fußball-Profi. Im Gegenteil: Wer sowieso frustriert ist vom ewigen Versteckspiel, der könnte Niersbachs Statement auch ganz anders interpretieren: „Lieber Schwuler, Du brauchst Hilfe, die gebe ich Dir gerne, aber erstmal bist Du ein Problem.“ Nicht gerade ermutigend.

Was würde denn stattdessen helfen? Das ist ein ganz langer Weg und wird die Vereine viel Überwindung kosten. Die Clubs müssen dauerhaft im Alltag immer wieder unter Beweis stellen, dass sie es ernst meinen mit ihrer Offenheit. Und geduldig ins Blaue hinein daran weiter arbeiten, ohne zu wissen, ob überhaupt einer der eigenen Spieler schwul ist. So wie der Teenager seine Eltern bei der Reaktion auf die schwule Fernsehreportage beobachtet, müssen homosexuelle Fußballer Situationen miterleben, in denen sich der Verein in irgendeiner Weise positiv zum Thema verhält. In der freien Wirtschaft nennt man das Diversity Management (siehe auch hier in diesem Blog). Das darf kein PR-Stunt für Toleranz werden. Die Vereine müssen vor allem einsehen, dass sie dabei nach innen wirken und ihr Engagement bei den eigenen Angestellten ankommt. Sie können mit den zahlreichen schwulen Fanclubs zusammenarbeiten, in ihrer Geschäftsstelle geoutete Homosexuelle einstellen, Nachwuchsturniere mit Trägern der schwul-lesbischen Jugendarbeit veranstalten, und und und. Es muss ja nichts Großes sein, aber nach vielen kleinen Aktiönchen wird ein ungeouteter Profi Vertrauen in die Clubführung fassen, Rückhalt spüren und sich langsam aus der Deckung wagen. Es können noch so viele DFB-Präsidenten und Bundeskanzlerinnen zu mehr Toleranz aufrufen, ohne diese Basisarbeit wird sich nichts ändern.

Ach ja, was die Fans angeht: Auch ein schwuler Sportler hat entsprechenden Ehrgeiz. Mit genug Unterstützung vom Verein wird er sagen können: „Das ganze Stadion wird gegen mich sein. Etwas Schöneres gibt es gar nicht.“

Video: „Homophobie im Profi-Fußball“ auf Hamburg1

Wer mein Blog bis in den letzten Winkel durchgeklickt hat, weiß auch, dass ich ehrenamtlich die Pressearbeit für meinen schwulen Fußball-Verein mache und dort unter anderem die Facebook-Seite betreue. Wir suchen durchaus den Weg in die Öffentlichkeit und haben uns kürzlich auch per Pressemitteilung zum Interview mit einem anonym gebliebenen Bundesliga-Profi geäußert.

Nicht nur das Hamburger Abendblatt hat das aufgegriffen, ich war auch zu Gast im Lokalfernsehen Hamburg1. Dort vergleiche ich die Bundesliga mit einer „miefigen Eckkneipe, in der seit 30 Jahren Country läuft, und plötzlich kommt einer und sagt: ‚Samstag machen wir aber jetzt eine Schwulenparty‘ – und wundert sich, dass keiner kommt.“