Schwule Fußballer im Kino: „Mario“ trifft es genau

Ein Kinofilm über schwule Fußballer? Außer dem klamaukhaften „Männer wie wir“ fiel mir bisher kein anderer ein. Mit dem Schweizer Film „Mario“ ändert sich das. Das Team um Regisseur Marcel Gisler hat alles richtig gemacht: einfühlsam und bis ins Detail treffend.

Ich will nicht lange drumherum reden: Dass „Mario“ ein gelungener Film ist, der eine schwule Liebesgeschichte im Fußball auch massentauglich auf die Leinwand bringt, ist schon fast überall in den Kritiken nachzulesen.  Morgen (18.10.) ist Kinostart in Deutschland. Das Besondere an diesem Film ist, wie treffend die Situation dargestellt wird. Schwule im Fußball: Es hätte so viele Fettnäpfchen gegeben, in die man als Filmemacher hätten treten können, so viele Versuchungen, ins Klischee abzugleiten, aber an diesem Film ist meiner Meinung nach alles richtig und alles drin, was rein gehört. Zwei Dinge stechen für mich heraus:

1. Ressentiments innerhalb der Mannschaft zeigen sich vor allem bei den Amateuren:  Homophobe Sprüche und Ausgrenzung von Mitspielern erleben die Protagonisten Mario und Leon in einer Nachwuchsmannschaft.  Im zweiten Teil des Films, der bei den Profis vom FC St. Pauli in Hamburg spielt, ist das Klima in der Mannschaft aus anderen Gründen kein großes Thema mehr (ich will nicht  zu viel spoilern). Das ist genau richtig: Wer erstmal in der Leistungsspitze bei den Profis angekommen ist, so erklärte es mir ein ehemaliger Bundesligatrainer, der ist so sehr darauf fixiert, gemeinsam Erfolg zu haben – dem ist dann auch ein schwuler Mitspieler zu unwichtig, um deshalb Terz zu machen. Im Profifußball sind es dann eher andere Probleme: Reaktionen von Fans und Werbepartnern etwa oder Sorgen ums Image – die Perspektive, dass man als „erster Schwuler“ in die Geschichte eingeht und die sportliche Leistung zweitrangig ist, über die denkt man als Profi vielleicht ein bisschen länger nach. Das Mannschaftsgefüge im Spitzensport jedenfalls scheint zumindest heutzutage nicht mehr so schwierig zu sein, wohl eher der Weg dorthin. Es ist nicht lange her, da haben mir Mitspieler im schwulen Fußballteam erzählt, wie sie bei den Amateurvereinen da draußen regelrecht aus der Dusche gemobbt wurden. In den Medien spielt oft der schwule Profi-Fußballer so eine große Rolle, den es bestimmt irgendwo gibt. Dabei wäre es meiner Meinung nach viel wichtiger, darauf zu gucken, warum überhaupt so wenige da oben ankommen.

2. In der Phase des Coming Outs kann es zu einer Art Paranoia kommen: Im Film sind es nur wenige kurze Szenen, aber ich habe mich sehr darin wiedergefunden. In der einen schleicht sich Mario im Mannschaftshotel über den Flur zu Leons Zimmer, und plötzlich geht das Licht an. In jeder anderen Situation würde jeder andere wohl denken, dass da wohl einfach der Bewegungsmelder angeschlagen hat. Aber Mario schaut sich ängstlich um, ob wohl jemand auf der Lauer liegt, um zu gucken, ob ein Schwuler zu dem anderen Schwulen läuft. So wie es immer in den Hotels ist.

Und dann ist da noch die Szene mit dem Kaffeetrinken bei Marios Eltern, bei dem auch Leon zu Gast ist. Marios ehrgeiziger Vater bezeichnet die beiden als „Traumpaar“, und die Gesichter der beiden sprechen Bände.  Die beziehen diese harmlose Bemerkung gleich auf ihre sexuelle Orientierung. Ja, genauso ist das, habe ich mir gedacht. Als ich mitten im Coming Out war und festgestellt habe, dass ich in einem sensiblen Punkt anders bin als 90 % des Rests der Gesellschaft, da hat mich das auch erstmal erschüttert und verunsichert. Und ich war überzeugt: Wenn ich selbst das weiß, dann ist es mir bestimmt auch anzusehen, und hat nicht die Frau beim Bäcker so komisch geguckt, weil sie gemerkt hat, dass ich schwul bin? Ich habe erstmal unglaubliche Entdeckungsängste durchgestanden. Das war völlig irrational, aber es gab diese Ängste. Ich finde es wichtig, dass Szenen dieser Art im Film zu sehen sind.

Ein empfehlenswerter Film, der leider nicht in sehr vielen Kinos läuft. Einen Überblick über die Termine findet Ihr auf der Seite des Verleihs. und dazu noch ein Tipp: Am Anfang mal darauf achten, wenn vom Ski-Lager die Rede ist! Diese Szene merken! Das wird später im Film in einem Halbsatz  nochmal aufgegriffen – nach sehr langer Zeit und so beiläufig, dass 95 % der Zuschauer es nicht mitbekommen. Aber Ihr könnt dann wissend lächeln. Oder dreckig grinsen.

Offenlegung: In meiner Funktion als Abteilungsleiter Fußball beim schwul-lesbischen Sportverein Startschuss SLSV Hamburg habe ich die Schweizer Produktionsfirma bei den Dreharbeiten 2017 unentgeltlich unterstützt. Das Casting für einige Nebenrollen fand während des Trainings unseres Vereins statt, und zwei Mitspieler von mir sind als Statisten zu sehen. 

Warum denn ein schwules Fußballturnier?

Während die Diskussion über Schwule im Profi-Fußball immer mal wieder Schlagzeilen macht, sind homosexuelle Freizeitfußballer seit Jahrzehnten untereinander vernetzt. Wie eine große Familie treffen sie sich auf dutzenden Freundschaftsturnieren, der Sport verbindert über Grenzen hinweg. Warum eigentlich gibt es Fußball-Teams für Schwule?

„Friends Prague gewinnen Deutschlands größtes schwules Fußballturnier“ habe ich an unseren Presseverteiler herausgegeben, als ich am vergangenen Wochenende für meinen Fußball-Verein und das „StartschussMasters“ im Einsatz war. Wir hatten 16 Mannschaften am Start, aus ganz Deutschland, aber auch international besetzt: Außer den Pragern hatten sich die Stockholm Snipers und PAN Fodbold Kopenhagen auf den Weg gemacht. Wir hatten außerdem prominente Unterstützung: NDR-Fernsehmoderatorin Anke Harnack hat bei der Eröffnungspartys die „Losfee“ gemacht, und als Gastredner hat der Schauspieler Peter Lohmeyer („Das Wunder von Bern“ oder ganz aktuell im Fernsehfilm „Blutadler“) über seine Sicht auf Homophobie im Fußball gesprochen.

Lässt sich in diesen Zeilen meine Begeisterung erahnen? Schon ab und zu bin ich mit meinen euphorischen Erzählungen über die schwule Fußballtruppe auf Unverständnis gestoßen: Warum muss man denn unbedingt eine schwule Fußballgruppe gründen? Auch noch ein ganzes Turnier? Ist das nicht eine Selbstghettoisierung?

„Geile Möpse, ey!“ gibt’s auch andersrum

Ja, das ist eine Selbstghettoisierung, und dafür gibt es mehrere Gründe: Viele sind es einfach leid, sich erklären zu müssen. Ganz selbstverständlich vom Platz zu gehen und seinem Freund einen Kuss zu geben, ohne dass jemand glotzt – das ist Lebensqualität. Unverblümt erzählen zu können, wie peinlich der letzte Flirtversuch in der Gay-Bar ausgegangen ist – unbezahlbar! Es wird ja so viel davon geschrieben, dass Fußball generell etwas von einem Männerbund hat. Meistens geht es dann darum, irgendein Boller-Heten-Verhalten zu rechtfertigen  – bloß gilt das eben nicht nur im Mainstream-Fußball, sondern auch unter Schwulen gibt es so ein verbindendes Element. Plakativ gesagt: Wenn Heten-Mannschaften durch „geile Möpse, ey!“ zusammengehalten werden können, dann ist es doch nicht verwunderlich, wenn Homo-Teams durch andere Dinge zusammengehalten werden. Oder etwas intellektueller: Auch wenn ein schwuler Spieler vielleicht im Kreisklasseverein akzeptiert wird, heißt das noch nicht, dass er sich dort verstanden fühlt. Das ist ein Unterschied.

Schwule haben nicht immer Lust, Paradiesvögel zu sein

Im Amateurfußball ist es für Schwule in den vergangenen Jahren deutlich leichter geworden. Ich kenne Spieler wie Tony Quindt aus meiner schwulen Fußball-Truppe, die parallel in anderen Mannschaften kicken und dort gute Erfahrungen gemacht haben. Aber wie bei Tony zum Beispiel gut in zahlreichen Fernsehbeiträgen zu sehen ist, reagieren Mitspieler im ersten Moment „überrascht“ oder „perplex“ (O-Ton). Das ist schon okay und nachvollziehbar, aber wir Schwule haben halt auch nicht immer Lust, Paradiesvögel zu sein. Und wenn es darum geht, sich freizeitmäßig etwas sportlich zu betätigen, ziehen es viele vor, sich auf schwules Terrain zu begeben.

Das StartschussMasters als Turnier ist nun eine Möglichkeit, in der Masse aufzutreten. Hallenfußball kann ganz schönes Gebolze sein, aber wir hatten am vergangenen Wochenende viele Spiele auf hohem Niveau mit durchdachten Spielzügen. Ich helfe gerne mit, solche Turniere an die Öffentlichkeit zu bringen. Irgendwann reagiert vielleicht niemand mehr „überrascht“ oder „perplex“, dass ein guter Fußballer im Team zufällig schwul ist. Und ordentlich zugetreten haben wir auch, wie im Video zu sehen ist.

Video: „Homophobie im Profi-Fußball“ auf Hamburg1

Wer mein Blog bis in den letzten Winkel durchgeklickt hat, weiß auch, dass ich ehrenamtlich die Pressearbeit für meinen schwulen Fußball-Verein mache und dort unter anderem die Facebook-Seite betreue. Wir suchen durchaus den Weg in die Öffentlichkeit und haben uns kürzlich auch per Pressemitteilung zum Interview mit einem anonym gebliebenen Bundesliga-Profi geäußert.

Nicht nur das Hamburger Abendblatt hat das aufgegriffen, ich war auch zu Gast im Lokalfernsehen Hamburg1. Dort vergleiche ich die Bundesliga mit einer „miefigen Eckkneipe, in der seit 30 Jahren Country läuft, und plötzlich kommt einer und sagt: ‚Samstag machen wir aber jetzt eine Schwulenparty‘ – und wundert sich, dass keiner kommt.“

Eine ganz normale Schlammschlacht

Fußballer haben sich gern

Um noch mal kurz das nicht-Fußball-affine Publikum auf den Stand zu bringen: Es gab vor einiger Zeit beim Deutschen Fußball-Bund einen Skandal um den damaligen Schiedsrichter-Obmann Amerell und einen der Top-Bundesliga-Schiedsrichter Michael Kempter. Letzterer hatte seinem Chef sexuelle Nötigung vorgeworfen, was natürlich in Anbetracht des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Obmann und Schiedsrichtern beim DFB besondere Brisanz hat. Die Vorwürfe konnten bisher nicht  aufgeklärt werden, und es gab nur Verlierer: Amerell räumte eine Affäre ein, bestritt aber einen Missbrauch und verlor sein Amt, Kempter pfeift seitdem allenfalls in der 3. Liga, und der DFB musste für sein Krisenmanagement viel Kritik einstecken.

Die Affäre macht in diesen Tagen nochmals Schlagzeilen, weil Amerell von Kempter nun 150.000 Euro Schadenersatz verlangt dafür, dass er alles ins Rollen gebracht hat. Der Fall hat meiner Meinung nach eine gewisse Tragik und ist voller menschelnder Komplikationen, so dass man sich mit Schuldzuweisungen sowieso zurückhalten muss. Aber ich kann der ganzen Berichterstattung doch tatsächlich etwas Positives abgewinnen: Die Medien berichten in ihrer typischen Normalität, wer wem wann die Zunge in den Hals gesteckt oder den Oberschenkel gestreichelt hat – da ist zwar jede Menge boulevardesker Voyeurismus bei, aber im Mittelpunkt steht immerhin meist die Frage, ob hier etwas gegen den Willen des anderen geschehen ist und ob es eine Grenzüberschreitung gegeben haben mag.

Es wirkt auf mich geradezu fortschrittlich, dass ich praktisch nie Dinge wie „Schwulen-Skandal“  in den Überschriften lese. Ich glaube nicht, dass beispielsweise über einen Eiskunstlauftrainer und seine Schülerin anders berichtet worden wäre als im Fall Amerell/Kempter. Medial ist das eine ganz normale Schlammschlacht, bei der man sich unabhängig von der Ausrichtung gerne wundert, dass stapelweise angebliche Liebes-SMS und eMails als Beweismaterial präsentiert werden. Die Erkenntnis ist offenbar in der Gesellschaft und den Redaktionen angekommen: Bei Rosenkriegen ist die sexuelle Orientierung egal.

Fußball wird von gesunden Menschen gespielt

Manche Leute  sind so von gestern, dass es fast schon wieder originell sein könnte, wenn es denn nicht so traurig wäre. Derzeit führend in meiner Favoritenliste ist der Präsident des kroatischen Fußballverbandes,  Markovic. Er hat offenbar allen Ernstes und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte erklärt: „Solange ich Präsident bin, wird ein Schwuler nicht spielen. Zum Glück wird Fußball von gesunden Menschen gespielt.“ Leider sagt er das ein paar Tage zu spät: Das traditionelle Hallenturnier meines Fußballvereins „Startschuss“ ist nun gerade vorbei. Das hätte er sich mal ansehen sollen! Beim Startschuss Masters treten einmal im Jahr schwule Teams aus ganz Deutschland gegeneinander an, oft haben wir auch internationale Gäste (diesmal aus Prag). Weiterlesen