Blick von einem Truck auf die Menschenmasse in der Mönckebergstraße in Hamburg beim CSD 2022

Was mir mehr Angst macht als Gewalt

Einige Jahrzehnte Lebenserfahrung als schwuler Mann haben mich gelehrt, Gefahren richtig einzuschätzen. Doch was mir in letzter Zeit wirklich Sorgen bereitet, ist nicht das, was die meisten vermuten würden. Es ist etwas Subtileres – und möglicherweise Gefährlicheres.

Ich bin jetzt 49 Jahre alt und war lange Aktivist. 2015 habe ich mit meinem Team die schwul-lesbische Fußball-EM in Hamburg ausgerichtet. Sichtbarkeit finde ich wichtig. Ich nehme gerne meinen Mann an die Hand. Tagtäglich drängen mir andere auf dieselbe Weise ihre Heterosexualität auf – darum nehme ich mir diese Freiheit auch heraus.

Was ich mir im Alltag seit meinem Coming Out in den 90ern angewöhnt habe: aufmerksam bleiben und immer eine Exit-Strategie haben. Ein Beispiel: Betrunkene Gruppen in der Bahn? Einmal kurz checken, wo die Notbremse ist und wen ich um Hilfe bitten kann. Eine Kollegin wies mich mal darauf hin, dass das ungefähr dieselbe Alltagserfahrung ist wie die aller Frauen.

Ich lese all diese Berichte über Übergriffe und finde das schlimm. Aber mein persönliches Sicherheitsempfinden ändert sich davon nicht – jedenfalls nicht allein deshalb.

Viel bedenklicher finde ich, wie die Solidarität in der Mitte der Gesellschaft schwindet. Weiterlesen

Worüber Heterosexuelle kaum nachdenken müssen

Das Coming Out am Arbeitsplatz war für mich keine Selbstverständlichkeit. Dabei lebe ich in einer weltoffenen Großstadt und habe gebildete Kollegen. Was ist denn eigentlich das Problem? Ein bisschen Seelenstriptease zum Diversity Tag am 30. Mai.

Es war im Herbst 2015, eine gesellige Runde am Rande der Verabschiedung eines Kollegen. Es ging ums Heiraten und Kinderkriegen. Und dann stellte mir die Chefin vom Dienst aus der Frühschicht diese eine Frage: „Alex, was ist eigentlich mit dir? Du trägst doch auch einen Ring. Bist Du verheiratet?“ Über meine Antwort wollte ich einen Moment nachdenken. Ich war gerade erst bei ARD-aktuell angekommen. Nur ein paar Monate Elternzeitvertretung, aber egal: die Eintrittskarte für die heiligen Hallen der Tagesschau. Mehr Zuschauer und mehr Glaubwürdigkeit geht nicht im Nachrichtenjournalismus. Da wollte ich bleiben. Das alles ging mir in Sekundenschnelle durch den Kopf. Und alles nur wegen dieser einfachen Frage: „Bist du verheiratet?“ Weiterlesen

Privates gehört an den Arbeitsplatz!

Ich habe das Glück, bisher nicht im Job diskriminiert worden zu sein. Aber trotzdem stoße ich ab und an auf Unverständnis, wenn es um den Stellenwert des Outings am Arbeitsplatz geht. Für manche ist es offenbar nicht nachvollziehbar, warum es denn wichtig ist, im Job auch mal was Schwules erzählen zu dürfen. Spielt doch keine Rolle, hat am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Albert Kehrer aus dem Bundesvorstand des Völklinger Kreises e.V. hat mir neulich einen Tipp gegeben, mit welchem Experiment ich diese Menschen knacken könnte: „Versucht mal, eine Woche lang überhaupt nichts aus Eurem Privatleben zu erzählen. Die meisten Leute, die es probiert haben, brechen nach zwei Tagen ab, weil sie sagen, es ist einfach nicht möglich.“ Weiterlesen