Ich habe das Glück, bisher nicht im Job diskriminiert worden zu sein. Aber trotzdem stoße ich ab und an auf Unverständnis, wenn es um den Stellenwert des Outings am Arbeitsplatz geht. Für manche ist es offenbar nicht nachvollziehbar, warum es denn wichtig ist, im Job auch mal was Schwules erzählen zu dürfen. Spielt doch keine Rolle, hat am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Albert Kehrer aus dem Bundesvorstand des Völklinger Kreises e.V. hat mir neulich einen Tipp gegeben, mit welchem Experiment ich diese Menschen knacken könnte: „Versucht mal, eine Woche lang überhaupt nichts aus Eurem Privatleben zu erzählen. Die meisten Leute, die es probiert haben, brechen nach zwei Tagen ab, weil sie sagen, es ist einfach nicht möglich.“ Interessante Idee.
Versteckspiel kostet viel Kraft
Denn „schwul sein am Arbeitsplatz“ hat nichts damit zu tun, mit Tatü-Tata in die Empfangshalle zu platzen und dem Großraumbüro Nachhilfe in homosexuellen Praktiken zu geben. Es sind schon Kleinigkeiten, die die sexuelle Orientierung verraten. Und wer Angst vor einem Outing hat, muss jede dieser Kleinigkeiten verstecken. Das Foto vom Partner auf dem Schreibtisch zum Beispiel. Es gibt immer noch sehr viele, die bei der Arbeit den Kinobesuch mit ihrem Freund verschweigen und nicht von gemeinsamen Urlaubsreisen erzählen, weil das Bekanntwerden ihrer Homosexualität zu Benachteiligung am Arbeitsplatz führen würde. Jeder Plausch in der Teeküche oder das übliche Gespräch am Montag Morgen über die Wochenend-Aktivitäten kann dann anstrengend werden. Die IT-Spezialistin Tina Knoll erlebt das bei der IBM, die als Vorreiter in Sachen Anti-Diskriminierung gilt, zum Glück nicht, aber sie kennt solche Situation von früher: „Dann steht man daneben und sagt gar nichts. Das kommt den anderen auch komisch vor, und man selbst fühlt sich auch schlecht.“ Andere erfinden dann einfach Geschichten – und müssen anschließend wahnsinnig viel Energie darauf verschwenden, sich nicht in Widersprüche zu verstricken.
Tolerantes Betriebsklima zahlt sich aus
Dabei müssten die Arbeitgeber einfach mal eine betriebswirtschaftliche Rechnung aufmachen. Homosexuelle, die das Klima als so feindlich empfinden, dass sie sich nicht outen können, zeigen im Job geschätzt eine 30 Prozent geringere Produktivität. Viele Unternehmen haben das schon verstanden – das Stichwort lautet „Diversity Management“. Schwule, Lesben, Ausländer, Behinderte sollen sich alle wohl fühlen am Arbeitsplatz. Nicht nur, damit sie besser arbeiten. „Letztlich wird daraus ein Business Case“, erzählt Albert Kehrer, „daraus ergeben sich oft neue Kundenkontakte und neue Absatzmöglichkeiten, die Umsatz und Gewinn des Unternehmens steigern.“
Unternehmenspreis für bestes Diversity Management
Kehrer sitzt in seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Völklinger Kreises in der Jury des Max-Spohr-Preises, mit dem Unternehmen ausgezeichnet werden, denen dieses Diversity Management besonders gut gelingt. Die Preisverleihung war hochkarätig besetzt. So erzählte der Commerzbank-Personalchef Reicherzer, wie eine Filiale durch das eigene schwul-lesbische Mitarbeiternetzwerk über hundert Neukunden gewann, der parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Stadler, sagte mir ins Mikrofon, dass er lieber heute als morgen das Ehegatten-Splitting auch für eingetragene Lebenspartnerschaften ermöglichen würde (das aber am Widerstand der Union scheitert), und das Deutsche-Bank-Vorstandsmitglied Lamberti schilderte den Wandel in der Unternehmenskultur, den das Geldinstitut während seiner Expansion in die Welt erlebt hat.
Lauter kluge Köpfe, die eingesehen haben, dass sich Toleranz in barer Münze auszahlt. Mein Hörfunkbeitrag zum Thema lief kürzlich auf NDR Info und ist hier zu hören: Diversity-Management: Toleranz bringt mehr Gewinn
Schwul hin oder her – es heißt immer noch „DAS (Deutsche-Bank-)Vorstandsmitglied“ 😉
Danke für den Hinweis, schon verbessert! Herr Lamberti ist übrigens mit einer Frau verheiratet! 😉
OK, ich dachte schon, das wäre neuer Community-Sprech 😉 Cool, was Du Dir für Mühe machst 🙂
..ich hab mal einen unserer Praktikanten gesehen, wie ihm sein Onkel, der Bruder seiner Mutter, auf der Rolltreppe eindeutig an der Hose rumgestrichen hat.
Ich bin den beiden dann nach, um sie „zufällig“ zu treffen, hab den jungen Mann beiseite genommen und ihn gefragt, ob er Hilfe gegen diese Zudringlichkeiten benötigt.
Er hat mir dann mit knallrotem Gesicht gestanden, dass sie weder verwandt noch verschwägert sind, sondern dass er und sein Partner die Geschichte von Onkel und bei ihm lebenden Neffen ausgedacht hätten, um nicht schief angesehen zu werden, und weil er Angst gehabt hätte, sonst die Stelle nicht zu bekommen.
Aus Angst, evtl. eine Stelle nicht zu bekommen, haben die beiden eine Anzeige wegen Inzest oder Kindesmissbrauch riskiert; statt vorher zu erfragen, ob es überhaupt ein Problem gegeben hätte (hätte es nicht)